The Re-Distribution of the Sensible - Die Zurückholung des Sinnlichen

Die Aufteilung des Sinnlichen ("Distribution of the Sensible", "Partage du Sensible") vollzieht sich innerhalb des Sinnesapparates, der den Wahrnehmungsmechanismus steuert. Dieser Mechanismus determiniert Orte und Formen der Teilhabe an einer gemeinschaftlichen Welt, indem er zunächst die verschiedenen Wahrnehmungsarten vorgibt, die die Teilhabe beeinflussen. Dadurch entsteht ein System von evidenten Wahrnehmungsfaktoren, die auf den Prinzipien des Sichtbaren und Hörbaren sowie auf dem, was gesagt, gedacht oder getan werden kann, beruhen. Die Aufteilung des Sinnlichen generiert daher eigentlich sowohl Formen der Teilhabe als auch des Ausschlusses. Freilich bezieht das Sinnliche nicht etwa guten Geschmack oder gutes Urteilsvermögen mit ein, sondern nur das, was aistheton, also durch die Sinne erfahrbar ist. 

(Jacques Ranciere, Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihrer Paradoxien) Nun führt die heutige hochtechnologisierte Wissensgesellschaft die Spaltung der Sinne mithilfe von komplizierten Apparaturen herbei, die an Michael Hardts Kontrollgesellschaft und Tony Negris Empire anklingen. Die Wahrnehmungslogik und -erfahrungen sind auf materieller Ebene nicht mehr nur durch in einem rigiden Raster hierarchisch angeordnete Räumlich- und Zeitlichkeit charakterisiert, sondern folgen vielmehr geschwungenen, nicht linearen Rheimann'schen Paradigmen, die in komplizierten, nicht hierarchischen, rhizomatisch systematisierten Schemata hervortreten. Man denke beispielsweise daran, wie Güter in unserer heutigen Zeit durch vermarktete Netzwerke miteinander verbunden sind, so dass der Bedarf der Verbraucher an ihnen künstlich erhöht wird , oder wie Menschen in Chat rooms oder über blog sites miteinander kommunizieren. Diese Wissengesellschaft, die derartige Kommunikationsformen und jene der globalen Märkte mithilfe von permanenten Wissenschaftsrecherchen über Wahrnehmung und Wissen kreiert, hat sich auf das potente Kreiieren von komplexen, anreißerischen Netzwerken eingeschworen, die die Erzeugung künstlicher "Verbundenheit" hervorrufen, die die heutige Spaltung der Sinne bestimmt. Phatische Reize, so wie sie Paul Virilio definiert, haben sich zu Aufmerksamkeit erhaschenden Reizkonglomeraten entwickelt, die als eine Multiplizität agieren und hinter dem Sinnesapparat operieren. Diese Reizkonglomerate dringen bis in das gyrus und sulcus des Gehirns selbst vor. Die Netzwerke bilden eine hegemonische kulturelle Syntax, die als Masse in die Gesellschaft eingeschrieben sind und im Ganzen neue Formen der Subjektivität bilden, aber im Einzelnen eine Vielzahl von gebündelten Formen in der globalisierten Welt. Wenn diese Netzwerke verinnerlicht und Teil des automatisierten Handelns des Körpers und Geistes werden, bilden sie eine Kontrollgesellschaft und eben keine Disziplinargesellschaft. Selbst-Zensur ist das beste Beispiel für eine Kontrollgesellschaft und dafür, wie heimtückisch dieser Prozess zur Selbstverständlichkeit wird. Zusammen erzeugen diese Gebilde das "institutionelle Verständnis". Dieses "instiutionelle Verständnis" beschreibt den Rahmen, in dem die meisten von uns in der materiellen Welt agieren.

Nun evozieren auch Künstler ihre eigene Art der Spaltung der Sinne. Sie gebrauchen ihre subjektiven historischen Referenzpunkte, Materialien, Prozesse, Apparate, Räume und Performances, um komplexe Assemblagen zu schaffen, die mit den institutionellen Arrangements um die Aufmerksamkeit des Gehirns und Geistes buhlen. Ihre künstlerischen Vorstellungen bringen Praktiken hervor, die die Erkundung unerforschter Gebiete wie zum Beispiel das Paranormale, Nicht-Lineare, Psychische und Unbewusste ermöglichen, die hinter dem Bereich der formelhaften Methodologie der philosophischen Logik und den wissenschaftlichen Experimenten pulsieren. Dies impliziert jedoch nicht, dass Kunst wie eine Art hermetisches Unterfangen losgelöst und distanziert vom Leben ist, sondern es bedeutet eher das Gegenteil. Sie ist eingebettet in das verflochtene Gewebe von sozialen, politischen, ökonomischen, psychologischen, historischen und spirituellen Beziehungsgefügen. Sie vermischt sich in Wirklichkeit mit ihm und formt ein komplexes System von wiederkehrenden und rekursiven Schleifen, das letztendlich dabei hilft, neue Netzwerkformen zu produzieren, die die Imagination eines jeden empfänglichen/produktiven Subjekts mit neuen kreativen Möglichkeiten befähigen, die am Ende die kulturelle Landschaft mit neuen Objekten, Objektbeziehungen, Kontexten und Ordnungen rekonstituieren. Sie beziehen sich auf die gleichen Ort- und Zeitumstände wie die institutionellen Ordnungen, die das institutionelle Verständnis darstellen. Allerdings stören und verdrehen sie die Umstände und verändern die statischen und rigiden Ordnungen signifikant. Werke wie Installationen, performative Skulpturen und urbane Geografien dienen dazu, die Gesetzmäßigkeiten der sinnlichen Welt neu zu etablieren, während konzeptuelle Arbeiten, Beziehungsästhetik und institutionelle Kritik eher auf metaphorischer Ebene operieren, indem sie Bedeutungen, Kontexte und Kritiken mit ein beziehen, um die Lesart, das Verständnis und den Ablauf der Sinneserfahrung zu beeinflussen. Der Situationismus hat uns beispielsweise gelehrt, den urbanen Raum kinetisch in Zusammenhang mit Herkunft und Rückkehr zu verstehen - unter Berücksichtigung dessen, was zuvor uninteressant und unbedeutend war - und in einer Weise vorzugehen, die uns ermöglicht, die Ausmaße der Urbanisierung im Kontext eines großen konzeptuellen Schemas der Bedeutung zeitgenössischen Lebens zu begreifen. (Natürlich ist das institutionelle Verständnis immer versucht, seine Methoden, Terminologien und Prozesse miteinzubeziehen.) 

Die Ausstellung "The Re-distribution of the Sensible" wollte zeitgenössische Kunstpraktiken aufzeigen, die sich mit den obengenannten Themen beschäftigen. Warren Neidich