magnus müller freut sich, Sie zur Ausstellung Each Rainbow Must Retain the Chromatic Signature, it.... des amerikanischen, in Berlin lebenden Künstlers Warren Neidich einladen zu können. Seit 15 Jahren erforscht Neidich in verschiedenen künstlerischen Medien die kulturellen Grundlagen und Veränderungen von Wahrnehmung, Bewusstsein und Gedankengut. Die Galerie wird drei Werkgruppen präsentieren, die durch Malerei, Installation und Skulptur die empirische Variabilität der Farbwahrnehmung untersuchen.

Rainbow Brushes (2007-08) besteht aus einer Reihe von knapp 40 cm großen Pinsel, die im Zuge eines performativen Aktes, den der Künstler “Performative Pull” nennt, entstanden sind. Die Farben eines Regenbogens, die sich in einem berühmten Gemälde der europäischen Kunstgeschichte wiederfinden, werden zunächst mit Acrylfarbe auf Papier gebracht. So basiert die Arbeit After Peter Paul Rubens, 1636 auf dem Regenbogen in Rubens Gemälde Regenbogenlandschaft von 1636-1638. Das Papier wird flach auf den Boden gelegt und der Pinsel darüber gezogen, die Spuren bzw. ein Bild auf den Borsten hinterlassen. Der Pinsel wird dann an die Wand gehängt. Gemäß den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Optik ist ein Regenbogen ein physikalisches Phänomen, das aus sieben spezifisch angeordneten Farben besteht. Dennoch wurden gemalte Regenbogen in den verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte unterschiedlich dargestellt, weil sie die veränderten kulturellen und empirischen Bedingungen, unter denen sie entstanden sind, beinhalten. Dieselben sich verändernden Bedingungen spiegeln sich im Gedankengut eines Künstlers wieder. Daher ist die Darstellung eines Regenbogens das projizierte Ergebnis seiner Gedanken auf der Leinwand, eine Art durch seine individuellen Gedanken erleuchtete Bildfläche. Die Installation der Pinsel verdeutlicht diese Unterschiede und drückt den Einfluss der Geschichte und die kumulativen Affekte der Kulturgeschichte auf den Geist des Künstlers und somit auf die Kunstgeschichte aus.

Red, White and Blue (2000-2008) ist eine Installation im hinteren Teil der Galerie, die aus drei einen Quadratmeter großen Neon-Gemälden und einer Spiegelwand, die diese reflektiert, besteht. In der Arbeit False Start (1959) malte Jasper Johns die Namen von Farben in einer anderen Farbe als ihr Name. Orange malte er in weiß und Rot in blau. Die Objektnatur der beinahe missverständlichen Wörter wird dadurch verstärkt. Der erste Teil von Red, White, Blue besteht aus drei bemalten Leinwänden, auf denen Wörter in Neonröhren die drei Farben der amerikanischen Flagge benennen, doch auch hier stimmen die Farben nicht mit ihren Namen überein. Das Neon für “Rot” besteht aus weißen Buchstaben und jenes für “Blau” erscheint in rot.

Dieser Mangel an Übereinstimmung findet sich auch in einem psychologischen Test, dem “Stroop Test”, der von unserer Fähigkeit, Wörter schneller und automatischer zu lesen als wir Farben benennen können, profitiert. Er misst einen kognitiven Mechanismus, jenen der gesteuerten Aufmerksamkeit. Bei Menschen mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ist diese Schwäche noch ausgeprägter, doch auch gesunde Menschen haben ähnliche, unentdeckte “Mängel”. Die chromatischen Experimente mit den farbigen Quadraten in Joseph Albers Gemälden, zum Beispiel Homage to the Square von 1965, sind allseits bekannt. Doch können derartige experimentelle Kunstwerke über die psychologischen und physiologischen Effekte, die sie auslösen, hinausgehen? Zweifellos sind sie in eine Kunstgeschichte eingebunden, auf die sie referieren, aber können sie auch eine biopolitische Bedeutung haben? Red, White and Blue (2000-2008) versucht, diese Frage zu beantworten, indem es den Körper politisch einbezieht, während es bewusst macht, wie Aufmerksamkeit manipuliert werden und Information verwirren kann.

Neidichs enge Beziehung zu Los Angeles und sein Interesse an den Arbeiten der kalifornischen Licht- und Raum-Künstler wie James Turrell, Robert Irwin und Maria Nordman inspirierten ihn bei seiner großen Skulptur im vorderen Teil der Galerie. Infinite Regress (2008) ist ein Pavillon mit drei Seiten. Jede Seite besteht aus einem 3 x 2,8 Meter großen Stahlrahmen mit sich automatisch bewegenden Türen aus transparentem Glas, wie man sie von Flughäfen und Kaufhäusern kennt. Die Türen sind in den Primärfarben Rot, Blau bzw. Gelb gestaltet. Sie gehen durch die Bewegung der Besucher auf und zu, deren Anwesenheit ein unsichtbares Auge, in diesem Fall einen Sensor, stimuliert. Die Besucher sind dazu angehalten, die Skulptur als Akteure zu betreten. Ihre Aktionen und geheimen Verbindungen mit der Arbeit selbst reizen die Überlagerung der transparenten, farbigen Türen in Unendlichkeit und bilden eine sekundäre Mixtur aus Violett, Grün und Orange. Als ein soziales Sprachrohr ist der Pavillon in die Tektonik der Galerie eingebunden, während er selbst an der Nahtstelle der drei aneinander grenzenden Räume der Galerie situiert ist. Diese bezugsreiche und performative Arbeit ist in erster Linie das Ergebnis von zufälligen Gesten und bewegten Zeichnungen der sich im Raum bewegenden Besucher. Dennoch gibt es immer die Möglichkeit, dass diese selben Besucher vorübergehende Verbindungen miteinander eingehen und eine Varietät an farbigen Effekten und Affekten kreieren.

Warren Neidich hat an zahlreichen Ausstellungen weltweit teilgenommen, und seine Arbeiten sind in privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, u.a. im Whitney Museum of Art in New York, im Los Angeles County Museum sowie im Museum Ludwig in Köln. Ferner wird er im Herbst 2008 in einer Einzelausstellung im Moderna Museet Stockholm zu sehen sein. Vormals war er u.a. in Institutionen wie im Whitney Museum of Art, New York City, im P.S.1., im MoMA, Long Island City, im Walker Art Museum in Minneapolis / Minnesota, im Kunsthaus Graz, Kunsthaus Zürich sowie im ICA London und im Museum Ludwig Köln zu sehen. Eine Sammlung seiner Publikationen, “Blowup: Photography, Cinema and the Brain”, wurde 2003 von der DAP veröffentlicht. 2004 erhielt er den AHRB-ACE Kunstpreis und 2005 den Arts Council of England Research Grant sowie den British Academy Award. Derzeit ist er Visiting Artist und Research Fellow am Center for Cognition, Computation and Culture am Goldsmiths College in London (2006-2008).