“Ein Meteorit, gleich welcher Größe, Ausprägung und Beschaffenheit, ist ein einzigartiges Naturwunder. Entstanden vor viereinhalb Milliarden Jahren und nach einer Reise von mehreren hundert Millionen Jahren gelangt er durch eine Verkettung kaum nachvollziehbarer Konstellationen auf unseren Planeten, wo er eventuell gefunden und konserviert werden kann. An seiner Formung waren die ersten in unserer Galaxie wirkenden thermi-

schen und Gravitationskräfte, Kollisionen gigantischer Körper und die kosmische Geschwindigkeit beteiligt, die ihn in Zusammenwirkung mit der dichten Gashülle unseres Planeten bei seinem Atmosphärenflug zu einer Skulptur geformt hat, wie sie kein Künstler nachbilden kann. Ein Meteorit ist damit einer der dichtesten und 

gleichzeitig für unsere Existenz universalsten “Sinnspeicher”, über den wir überhaupt verfügen können.” 

(Dr. Svend Buhl)“one evolutionary way to see” war die zweite Einzelausstellung des in Berlin lebenden deutschen Künstlers in der Galerie.

Markus Keibel arbeitet mit den Medien Fotografie und Sprache sowie mit Alltagsobjekten, die als Inspirationsquellen für seine Glasarbeiten und Installationen fungieren. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen der “Menschlichkeit”, in einem konkreten und nicht abstrakten Sinne: Wie können wir über das Menschsein sprechen ohne zu abstrahieren? Keibel ist jedoch nicht am Individuum interessiert, sondern an den Beziehungen zwischen Individuen, deren Kommunikationsweisen und Wahrnehmungen. Eine weitere Quelle für seine minimalistischen Installationen sind aktuelle soziale Diskurse. In der Ausführung gelingt ihm eine sehr klare und reduzierte künstlerische Sprache.

Das von Markus Keibel in der Galerie gebaute Labyrinth, aus achtundfünfzig 2,4 x 0,8 m großen Glasscheiben, nahm Bezug auf den “Faden der Ariadne”, der in der Mythologie den symbolischen Weg durch den Tod, die Unterwelt bis hin zur Wiedergeburt und Liebesfähigkeit darstellt. Die Symbolik des Labyrinths ist eine uralte Menschheitssymbolik und breitete sich nachweislich seit 1200 vor Christus in allen Kulturen, die an Wiedergeburt glauben, aus. 

Durch das Labyrinth war ein Meteorit geschlagen, der am Ende des Raumes, am Umkehrpunkt des Labyrinths, liegen geblieben war. Damit war der Gang durch das Labyrinth erschwert, da dem Besucher durch Scherben und scharfe Kanten tatsächliche Gefahr drohte. Das Wissen um den Meteoriten ließ den Besucher jedoch die Hindernisse bewältigen; bei diesem angekommen, fand die Begegnung mit etwas Außerirdischem (es handelte sich um einen echten Meteoriten), und im besten Fall mit sich selbst statt. Der Blick in den Kosmos durch die sichtbare Flugbahn des Meteoriten war eröffnet.

Mark Gisbourne über Markus Keibel

“....ich dachte an ein Labyrinth von Labyrinthen,

ein verworrenes Labyrinth, das die Vergangenheit und die Zukunft umfasst und auf eine Art auch die Sterne mit einbezieht.” [1]

Wie man von Ts’ui Pên, dem chinesischen Statthalter, in Borges berühmten Essay “The Garden of Forking Paths” weiß, ist die Vorstellung und die Projektierung eines Labyrinths immer ein Versuch und/oder eine gedachte Veranschaulichung des Unendlichen, das außerhalb des Zeitlichen liegt. Zeit und der unmittelbare Ablauf von hintereinander ablaufenden Ereignissen ist nicht Teil unseres Bewusstseins von einem Labyrinth. Daher steht das Labyrinth für Gegensätze, für die Verkörperung eines materiellen Geistes (der begrenzt ist), und für ein immaterielles Bewusstsein (scheinbar unbegrenzt). Es kann sichtbar gemacht werden als Struktur, und ist - eben transparent beziehungsweise unsichtbar - eine materielle Konstruktion und/oder eine psychologische Projektierung. Die Täuschung, die sich oft aus der Idee des Labyrinths ergibt, ist, dass es sich um pure Vorstellung und reines Bewusstsein handelt. Das Labyrinth demonstriert durch seine Metaphorik eher die nach innen gerichtete Wahr-nehmung einer mentalen Bewusstheit, als die buchstäblich durchgeführte Interaktion und Bewegung im Raum.

Markus Keibels Installation suggerierte jedoch willentlich, dass die kosmologische Realität (materiell/immateriell und physisch/mental) in Form einer wirklichen Unendlichkeit nicht so leicht ausgeschlossen werden kann. Inwiefern zerstört eine kosmische Quelle, ein Meteorit, ein konstruiertes Labyrinth aus Glas, das nur vorgibt, ein in sich geschlossenes System zu sein? Der Meteorit bringt in einer absichtlich gewaltvollen Weise eine unvorhersehbare und unbehagliche universelle Präsenz mit ins Spiel. Die Durchgänge und Glaswände des Labyrinths werden von der physischen Intervention eines außerirdischen Gebildes durchdrungen. Es ist die “andere” Welt (in der Tat die andere Welt), die uns mit der falschen Vorstellung eines in sich geschlossenen Systems des Labyrinths konfrontiert. In einem Galerieraum, einem Ausstellungsort, erbaute, veranschaulichte das Glaslabyrinth seine Transparenz im doppelten Sinn, als geschlossener Raum, doch gleichwohl als einen Raum, der auf zwei verschiedenen Ebenen gesehen werden kann. In das Bewusstsein dringt die “andere”, materielle Welt ein. Der astronomische Einschlag des Meteoriten von außen in den Galerieraum durch das Fenster und die Glasscheiben spiegelte nicht nur eine bestimmte, nachgeahmte Flugbahn wider, sondern war auch ein stark zerstörender Mechanismus, der die Idee eines pur nach innen gerichteten Bewusstseins von einer angenommenen Isolierung anzweifelt. Der Mechanismus endet im Zentrum des transparenten Raums und platziert ein außeriridisches Gebilde (das Andere) in den Kern der labyrinthischen Metapher, kurz in das Zentrum des Bewusstseins. Die transparente Zerbrechlichkeit des Glases wurde angefochten durch das heftige Gewicht des Meteoriten, das auf es eingeschlagen hat. Der Meteorit erschütterte und zersplitterte den Sinn einer zweckmäßigen hermetischen Verschließung. Keibel veranschaulichte durch die Darbietung eines versteckten und ungewöhnlichen Zugangspunktes zum Labyrinth und zum Galerieraum einen konstruierten und transparenten Widerspruch von Intimität. Die Installation führt den Betrachter zum Herzen von Geist und Materie und seinem binären Paradoxon. Es veranschaulichte die inhärenten Ereignisse des Bewusstseins und die gewohnten Täuschungen. Wir haben Teil an einer tausendjährigen Erscheinung der “Vergangenheit und Zukunft”, die “auf eine Art die Sterne mit einbezieht”.

[1] Jorge Luis Borges, ‘The Garden of the Forking Paths’, Eng. trans., Donald A. Yates, in, Labyrinths: Selected Stories & Other Writings, New York and London, New Directions, 1964 (und folgende Editionen), S. 19-29 (S. 23)