Wir freuen uns sehr, Sie zur zweiten Einzelausstellung des in Berlin lebenden Künstlers Piotr Nathan bei magnus müller einladen zu können. Im großen Raum der Galerie präsentiert der Künstler mehrere neue Arbeiten auf Leinwänden, im kleinen Galerieraum dokumentiert er zwei Ausstellungsprojekte aus dem letzten Jahr, die im im Cobra-Museum in Amtsleven, Niederlande, beziehungsweise im NGBK in Berlin gezeigt wurden. Beiden Arbeiten diente der Holzstich Die blaue Grotte im Linderhof nach einer Zeichnung von Robert Asmus als Vorlage. Dieses Motiv zeigt König Ludwig II. mit einem seiner Bediensteten im Boot auf dem Wasser der Blauen Grotte im Schloss Linderhof. Es kann als Leitmotiv der neuen Werkserie angesehen werden.

In den neuen Arbeiten Piotr Nathans treten Gebirgs-, Wasser-, Pflanzen- und Tierlandschaften als fantastische Naturphänomene in Erscheinung. Wir sehen verwurzelte Bäume in einer nächtlichen Seelandschaft, ein tobendes Unwetter mit peitschendem Regen und heftigen Blitzgewittern, vertrocknete Wüstenpflanzen mit erleuchtetem Meereshimmel, eine rot-glühende Gebirgslandschaft, in der sich Löwen und Wölfe tummeln. Bei der Auswahl seiner Motive greift der Künstler auf Enzyklopädien und populärwissenschaftliche Schriften aus dem späten 19. Jahrhundert mit druckgrafischen Illustrationen zurück. Scheinbar mit der Technik des Holzstichs in der Tradition romantischen Epoche ausgeführt, aber in Größe und Farbigkeit verändert, stellen sie dennoch autonome Kunstwerke dar. Auch die Motive werden von dem Künstler abgeändert, entdeckt der Betrachter doch nach eingehendem Studium der Bilder mehr oder weniger entzifferbare, in die Illustration “eingeschummelte” Szenen: Aus dem Wirrwarr der gewaltigen Bäume treten plötzlich ein Mond und zwei dubiose männliche Gestalten hervor, ein Boot taucht im Himmel auf und ein nacktes Gesäß zwischen Wölfen. Mit der Unheimlichkeit eines E.T. A. Hoffmann und dem Aufklärungswillen eines Jules Verne begeben wir uns in eine Zeitreisemaschine zum Mittelpunkt der Erde. Die Menschen, die Piotr Nathan in diese faszinierenden Naturdarstellungen gesetzt hat, sind jedoch Menschen aus der Gegenwart. Sie versinnbildlichen den heutigen Menschen mit seinen Gedanken, Sehnsüchten und Ängsten, der sich in einer falschen Zeit zu sein empfindet und nach der eigenen, richtigen Welt sucht, indem er sich – wie König Ludwig II. - in Fantasiewelten flüchtet.

Nach geraumer Zeit theoretischer und praktischer Arbeit an diversen Reproduktionstechniken ist Piotr Nathan mit seiner neuen Werkserie die Entwicklung einer neuen Technik gelungen. Sie verbindet in seinen Bildern miteinander die ältesten mit den modernsten Reproduktionsmethoden. Schicht auf Schicht mit den verschiedensten Bearbeitungen und Techniken folgen aufeinander, bis eine mehrdeutige, geheimnisvolle Schichtung entsteht.

Piotr Nathan lebt seit seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg seit 1986 in Berlin, wo er seit 2005 von magnus müller vertreten wird. Sein Oeuvre umfasst Zeichnungen, Malerei, Skulpturen, Multiples, Künstlerbücher, Wandarbeiten und Installationen. Einem größeren Publikum bekannt ist er spätestens seit seinem Auftritt auf der 3. Berlin Biennale im Jahr 2004. Seine darin ausgestellte imposante Installation aus Türen von öffentlichen Toiletten, die zu Sitzbänken umfunktioniert wurden (Traumdeutung, 2004), sowie die Wandzeichnung Die Weberei der Düfte (2002) ist sicherlich vielen in Erinnerung geblieben. Besuchern des Berliner Clubs Berghain dürften auch die monumentale Wandzeichnung Die Rituale des Verschwindens (2004) bekannt sein. Seit 2006 ist Piotr Nathan Professor für Freie Zeichnung und Druckgrafik an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel.